Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

Stamokap, Theorie und Juso-Fraktion 

Mit "Stamokap" bezeichnet wurde vor mehr als 40 Jahren ein Ansatz zur Analyse des Kapitalismus, der den Wandel der Gesellschaft vom "alten" Kapitalismus über den Monopolkapitalismus hin zu einem System beschrieb, in dem sich die wenigen Monopole (gedacht auch als Verbindung von zusammenwachsendem Industrie- und Finanzkapital) den Staat zu ihrem Erfüllungsgehilfen machen - der staatsmonopolistische Kapitalismus.

Bei den Jungsozialisten gab es zu Beginn der siebziger Jahre eine so genannte Stamokap-Fraktion, deren theoretischer Bezugsrahmen diese Theorie war. Der wissenschaftliche Streit um die richtige Gesellschaftsanalyse fand seine politische Fortsetzung bei den Jusos.

In Bremen gab es sehr harte Auseinandersetzungen zunächst bei den Jusos und dann in der SPD vor allem über die Frage der Einschätzung der osteuropäischen Systeme und der DDR sowie die Frage der Zusammenarbeit mit der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die "Stamokap-Fraktion" hat im Laufe der Entwicklung sehr viele ihrer Positionen aufgegeben oder so präzisiert, dass es bei den Jusos inhaltliche Konsense gab. Ein Beispiel dafür ist das wirtschafts- und sozialpolitische Grundsatzprogramm der Jusos von 1981 - hier hatte ein Besuch von theoretischen Exponenten aller Juso-Strömungen in Ungarn das Abrücken der Stamokap-Fraktion von der Vorstellung einer weitgehend zentralistischen Detailplanung der zukünftigen sozialistischen Wirtschaft in Deutschland zur Folge.

Heute hat der Theorieansatz von "Stamokap" keine Popularität, und die Juso-Fraktion besteht in dieser Form nicht mehr. Die ehemaligen "Stamokap-Kader", die noch eine Rolle in der SPD-Linken spielen, sind Teil einer breiteren Bewegung ohne erkennbaren eigenen ideologischen Kern. Machtpolitisch funktionieren hier und da immer noch alte Freundeskreise, aber diese agieren dann nicht offen als spezielle "Fraktion" mit einer eigenständigen inhaltlichen Plattform.

Einen tieferen Einblick in die staatstheoretischen Diskussionen der siebziger Jahre bietet meine Diplomarbeit von 1975; die Positionen der Juso-Fraktionen habe ich 1978 in einer Broschüre für die Bremer Jusos vorgestellt. 

Die Kontorverse ging primär um Politik, nicht um Theorie

Es gab eine Grundsatz-Kontroverse bei den Jusos, die sich dann in vielen politischen Fragen widerspiegelte. Deutlich wurde das z. B. bei Menschenrechtskampagnen für politisch Unterdrückte in der DDR, die aus Stamokap-Sicht nur antikommunistisches ideologisches Sperrfeuer zur Stabilisierung des westdeutschen Kapitalismus waren.

Heute (2013) kann man sich wirklich kaum noch vorstellen, was die Stamokap-Fraktion bei den Jusos und der mit ihr verbundene SHB (Sozialistischer Hochschulbund) vor 35 Jahren vertreten haben. Davon wollen viele der früheren Stamokap-Kader heute nichts mehr wissen. Sie haben trotzdem Ärger gemacht. Beeindruckend waren z. B. eine offizielle Erklärungen des SHB sowie ein Beitrag von Christoph Butterwege und (der 1978 aus der SPD ausgeschlossenen SHB-Vorsitzenden) Mechthild Jansen, die ich in einem Papier zur Juso-Gewerkschaftsdiskussion zitiert habe.

Es ging z. B. um die politische Bewertung der Verurteilung des kritischen Wissenschaftlers Rudolf Bahro in der DDR. Viele westdeutsche Linke, die für Solidarität mit Bahro warben und die politische Unterdrückung in der DDR kritisierten, wurden vom SHB schlichtweg als irregeleitete Antikommunisten diffamiert. So erklärte der SHB 1978:
"Es gibt für uns keinen Grund, bereits im Vorverständnis davon auszugehen, daß die Begründung für die Verurteilung von Rudolf Bahro seitens des Berliner Staatsgerichts der DDR falsch ist. Und daß geheimdienstliche Tätigkeit in unterschiedlichen Formen und mit unterschiedlichen Mitteln ausgeübt werden kann, wird jeder einschlägige 'Fachmann' bestätigen können ….  In einer Zeit, wo von den Rechtskräften alle Mittel für eine Rückkehr zur Politik des kalten Krieges aufgewendet werden, beteiligt sich der SHB nicht am psychologischen Krieg gegen die DDR. Daß die Rechtskräfte solche Vorfälle für ihre antikommunistischen Zwecke aufbauen, ist uns hinreichend bekannt. Doch überraschend ist, wie offen einige sich selbst als 'linke' Sozialdemokraten bezeichnende Politiker wie Peter von Oertzen ihre Ziele darlegen… die eine große Gefahr für die Entspannungspolitik darstellen… Durch von den Rechtskräften gekonnt inszenierte Ablenkungsmanöver läßt sich der SHB nicht irritieren… Die Unzufriedenheit und der Widerstand gegen den gewöhnlichen Kapitalismus in unserem Land sollen mit derartigen Kampagnen gebrochen werden…" (Frankfurter Rundschau, 15.7.78).

Mechthild Jansen und Christoph Butterwege haben die Position des SHB und eines Teils der Stamokap-Jusos so bestimmt:

"Bedingt durch die Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen Imperialismus und Sozialismus im Weltmaßstab, aber auch die unübersehbare Stärkung der demokratischen Bewegung unseres Landes im allgemeinen (Gründung der DKP 1968, …) und die Neuformierung der SPD-Linken im besonderen, ist die herrschende Klasse zum gegenwärtigen Zeitpunkt gezwungen, die soziale Entrechtung der Werktätigen durch ideologisches Sperrfeuer (Menschenrechtskampagne) abzusichern. Innerhalb der SPD übernehmen 'linke' Varianten des Antikommunismus ('Zerschlagung der stalinistischen Bürokratien in Osteuropa') die Aufgabe, ein Vordringen des Marxismus zu verhindern. Auch die neue Juso-Führung ordnet sich bewußt oder unbewußt dieser Funktion unter ('Bahro-Kampagne' gegen den SHB, Gründung einer Bürgerrechtsbewegung unter Ausschluß der Kommunisten, Auftreten der Juso-Delegation bei den XI. Weltjugendfestspielen auf Kuba), worunter jedoch auf längere Sicht ihre Fähigkeit leiden muß, linke Minderheiten, kritische Intelligenz und enttäuschte Jugendliche an die SPD zu binden…. Von daher gehört es zu den Aufgaben der Marxisten innerhalb der SPD, trotz ständiger Bedrohung durch Parteiordnungsverfahren, mit denen die rechtssozialdemokratische Führung jede Zusammenarbeit unterbinden will, für die Aktionseinheit aller fortschrittlichen Kräfte einschließlich der Kommunisten einzutreten und sie in der Praxis zu realisieren…. Schließlich beinhaltet eine wirksame Interessenvertretungspolitik die Auseinandersetzung mit allen Schattierungen des Antikommunismus, der von den kapitalistischen Krisenphänomenen und sozialen Alternativen ablenken, das einheitliche Vorgehen der Hauptströmungen der Arbeiterbewegung, von Sozialdemokraten und Kommunisten, verhindern soll" (Beiträge zum wissenschaftlichen Sozialismus 1/79, S. 84,86).

Stellungnahmen wie diese hinderte die Stamokap-Fraktion bei den Jusos nicht daran, ihre grundsätzliche Solidarität mit dem SHB zu betonen und dessen Mitglieder an ihren 'Kreisen' zu beteiligen. Der Gradmesser für die Fortschrittlichkeit eines Sozialdemokraten war dessen Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den stalinistischen Kommunisten auch zur Verteidigung der Verhältnisse in der DDR. Menschenrechtskampagnen für politisch Unterdrückte in der DDR waren aus dieser Sicht nur antikommunistisches ideologisches Sperrfeuer zur Stabilisierung des westdeutschen Kapitalismus.

Aus heutiger Sicht fällt es leicht, der historischen Wahrheit wegen darauf hinzuweisen, dass es im "Stamokap-Lager" durchaus Binnen-Differenzierungen gab. So hat sich z. B. Detlev Albers, späterer Landesvorsitzender der Bremer SPD und langjähriges Mitglied im SPD-Parteivorstand, früh um eine moderatere Positionsbestimmung bemüht mit der Konsequenz, dass Gerd Schröder als Juso-Bundesvorsitzender in einem Papier im Jahr 1979 explizit formuliert hat, dass "diese theoretische Position - jedenfalls in der inhaltlichen Ausrichtung, in der sie von Detlev Albers entwickelt wurde, zum Spektrum der Sozialdemokratie gehört."

Zumindest der nachträglichen Entspannung des Verhältnisses zwischen "alten Gegnern" dienlich ist ein Hinweis, den ich von Herbert Grimberg erhalten habe. Er hat mich auf ein Statement von Franziska Wiethold hingewiesen, die anlässlich einer Veranstaltung zum 100. Geburtstag von Wolfgang Abendroth nicht nur für sich selbst gesprochen hat: „Ich war Teil der 'Stamokaps', die von rechten Sozialdemokraten, Teilen der Gewerkschaften, aber auch von manchen Linken desavouiert wurden. Aber auch wir haben in einer Art Auseinandersetzung z. B. gegen die 'undogmatischen' Sozialisten geführt, für die ich mich heute schäme.“ Quelle: Wiethold, F. (2006). Erinnerungen an Wolfgang Abendroth während der Studentenbewegung 1968. In H.-J. Urban, M. Buckmiller & F. Deppe (Hrsg.). Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie - Zur Aktualität von Wolfgang Abendroth (S. 203). Hamburg: VSA.

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