Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

Steuerflucht und Kapitalflucht.
Für mehr globale Regulierung.

Irgendwoher stammt der schöne Satz, Kapital sie wie ein scheues Reh: bei (empfundener) Bedrohung wird sofort geflüchtet. Dabei muss man unterscheiden zwischen krimineller Steuerhinterziehung, moralisch zweifelhafter legaler Steuervermeidung (die durch einen veränderten Regulierungsrahmen korrigierbar wäre) und internationalen Kapitaltransfers, deren Folgen ebenso gravierend sein können wie ihre Kontrolle schwierig ist. Reiche sollen insgesamt zwischen 21 und 32 Billionen Dollar in Steueroasen bunkern – in manchen Entwicklungsländern sind die sogenannten Offshore-Vermögen angeblich sogar größer als die Staatsschulden. Beeindruckende Informationen liefern z. B. die Filme "Steuerfrei" (ARD, 198.2013) und "Zeitbombe Steuerflucht".

Steuerhinterziehung
Es gibt die Vermutung, dass schon allein die Verhinderung der Steuerhinterziehung im Euro-Raum die Finanzprobleme der Staaten lösen würde. Angeblich sind in Europa allein im Jahr 2012 insgesamt 576 Milliarden neue Staatsschulden gemacht worden – zugleich wird das Volumen der hinterzogenen Steuern auf jährlich 1 Billionen Euro geschätzt. Und deutschen Banken wird vorgeworfen, eine kleine Lücke im Gesetz ausgenutzt zu haben, um in den letzten Jahren einen Steuerbetrug in Höhe von ca. 12 Milliarden Euro  organisiert zu haben; man hat sich eine einmal abgeführte Kapitalertragsteuer doppelt erstatten lassen.

Der oberste griechische Steuerfahnder hat beklagt, dem Staat würden durch Steuerhinterziehung 45 Mrd. € entgehen. Insgesamt sollen Griechen es geschafft haben, Schwarzgeld im Volumen von 261 Mrd. Dollar ins Ausland geschafft zu haben. Konkret berichtet wurde über den Unternehmer Lavrentiadis, dessen Bank Proton vom Athener Staat mit 900 Mio.€ gerettet wurde – nachdem er nach der Vermutung von Ermittlern kurz vorher noch 700 Mio. € illegal ins Ausland verlagert haben soll. Zypern, vor kurzem mit dem EURO als Währung beglückt und der dringenden Rettung durch den europäischen Steuerzahler bedürftig, bietet angeblich bei der Körperschaftssteuer einen Satz von 10% und verwaltet 26 Mrd. Dollar an Schwarzgeld aus russischen Quellen.
Die seit 1741 aktive älteste Schweizer Bank Wegelin hat sich vor einem US-Gericht für schuldig bekannt, US-Bürgern bei der Steuerhinterziehung geholfen zu haben und hat im Gefolge Ende 2012 ihr Geschäft aufgegeben. In Deutschland ist Steuerhinterziehung durch Flucht in die Schweiz anscheinend ein Massensport. Im Dezember 2012 berichtete SPIEGEL ONLINE von einem massiven Steuerbetrug von deutschen Kunden der Schweizer Großbank UBS; allein durch den Ankauf von Daten-CDs sind in Deutschland seit 2010 über 3 Milliarden € in die Staatskassen gekommen, und seit 2007 hat es 40.000 Selbstanzeigen gegeben.

Uli Hoeneß ist ein deutscher Leistungsträger mit internationalem Format, der als guter Mensch vielen anderen geholfen hat – und der nach eigenem Bekunden (Selbstanzeige) so straffällig geworden ist, dass es gegen ihn einen Haftbefehl gab. Politisch kann der Fall Hoeneß der breiteren Öffentlichkeit einen Eindruck von einer Struktur vermitteln, die es zu verändern gilt. Einzelne (ja wohl eher wohlhabende) Personen oder Unternehmen hinterziehen Steuern, womit dem Staat (der Allgemeinheit) per Definition Ressourcen entzogen werden. Diese fehlenden Ressourcen beschafft sich der Staat (die Allgemeinheit) dann in Form von Schulden auf „den (Finanz-)Märkten“ – sprich bei dem hinterzogenen „Anlagekapital“ und zahlt dafür auch noch Zinsen. Das ist ein struktureller Doppel-Betrug. Die dem Staat vorenthaltenen Steuern werden diesem per Kredit für Zinsen zur Verfügung gestellt, damit wird gleich doppelt kassiert – und die Allgemeinheit wird doppelt betrogen.

Steuervermeidung

Der nette Begriff "Steueroptimierung" steht auch für Aktivitäten global agierender Konzerne, die ihre realen Geschäfte finanziell so abbilden, dass sie ("legal") möglichst wenig Steuern bezahlen müssen. Dazu liefern z. B. die "Steuerfrei" (ARD, 198.2013) und "Zeitbombe Steuerflucht" umfangreiche Informationen.

In den Printmedien berichtet wurde z. B., dass ein Konzern wie Apple im Jahr 2012 lediglich 1,9% der Auslandsgewinne an den Fiskus abgeführt hat, bei Google waren es 2010 ganze 3%. Google soll 2012 ca. 9 Mrd. Euro auf die Bermudas umgeleitet haben. "Nach SPIEGEL-Informationen hatte Google auf den Bermudas bereits im vergangenen Jahr rund 25 Milliarden Dollar an weitgehend steuerfreien Gewinnen gehortet. Die Google-Führung hat damit offenbar kein Problem: 'Ich bin sehr stolz auf die Struktur, die wir geschaffen haben', hat Konzernchef Eric Schmidt einmal über das umstrittene Steuersparmodell des Suchmaschinenkonzerns gesagt. 'Das nennt man Kapitalismus.'". Das nach Marktwert größte Athener Unternehmen, ein Getränkeabfüller, hat seinen Firmensitz aus steuerlichen Gründen in die Schweiz verlegt. Der Schauspieler Gérard Depardieu liebt Russland, will der angekündigten französischen Reichensteuer entkommen und flüchtet nach Russland (wo die Reichen angeblich mit ihrem Schwarzgeld nach Zypern flüchten….). Dort beträgt der Steuersatz angeblich 13% – sozialistisch regulierter Kapitalismus in Frankreich, kapitalistenfreundlicher Kapitalismus in Russland?

Großbritanniens Konservative haben über die Mehrbelastungen für Reiche in Frankreich gejubelt – und wollten den Betroffenen in England den roten Teppich ausrollen. Aber selbst die unternehmerfreundliche konservative britische Regierung möchte die Praktiken von Google, Starbucks und anderen gerne beenden und etwas Kleingeld abbekommen.

Kapitalflucht
Aus Südeuropa wurden massive Kapitalabflüsse gemeldet – ein Beitrag zur Verschärfung der Krise. Dieses Kapital wird nicht zu Realkapital, es schafft keine Arbeitsplätze und es dient auch nicht zur Finanzierung der Schulden der Nation (das können dann ja internationale Hilfsfonds übernehmen). So sollen seit 2009 ca. 65 Mrd. € von griechischen Konten abgeflossen sein, davon 16 Mrd. ins Ausland – vor allem nach Großbritannien und in die Schweiz, wo vor allem in Immobilen investiert wurde. Auch aus Italien und Portugal soll viel Geld abfließen. Wenig Freude bei deutschen Steuerzahlern machen Meldungen, nach denen Griechen und Spanier in großem Stil in Deutschland Immobilien kaufen – und dabei die Preise zuerst für Gebäude und dann für Mieten in die Höhe treiben.
Die Verhinderung der Kapitalflucht würde eine Überwachung (Kapitalverkehrskontrollen) und die politische Bewertung von Kapitalbewegungen erfordern – ein sehr tiefgehendes Schiff….

Für mehr internationale Regulierung in der Weltgesellschaft
Diese mehr nebenbei aus Presseberichten zusammengetragen Fakten zeichnen das Bild einer Welt, die so nicht sein sollte. Da gibt es Elend und Ängste vor massiven Krisen mit einem Rettungsgipfel nach dem nächsten, und in irgendwelchen Oasen lagern zwischen 20 und 30 Billionen Euro? Da wird Steuerkriminalität in einer zur Schulden-Sanierung geeigneten Dimension achselzuckend hingenommen? Da gibt es eine internationale Regulierung, bei der Konzerne mit einem Guthaben von über 100 Milliarden Dollar wie Apple im Ausland einen Steuersatz von 1,9% zahlen? Da gibt es Rettungsmilliarden für Banken und Staaten, deren Unternehmer ihr privates Vermögen aus ihren Ländern legal und illegal abziehen und so in die Realökonomie der Geberländer transferieren, dass sie dort mächtige, reiche und auch noch honorige Leute sind?
Ein Grund für die Notwendigkeit von internationalen Staaten-Kooperationen und supra-nationalen Institutionen liegt darin, dass global agierende Unternehmen die Regelungen von Nationalstaaten aushebeln können – insbesondere dann, wenn sich diese Staaten in einer Standort-Konkurrenz um die Gunst der Unternehmen sehen. Insbesondere Kleinstaaten und Kleinkontinente lassen sich vom flüchtigen Kapital-Zirkus austricksen (oder können und wollen von den "Peanuts" der Konzenrne so gut leben, dass sie von "der Weltgemeinschaft" unter Druck gesetzt werden müssen).

Vielleicht setzt sich ja irgendwann die Einsicht durch, dass international abgestimmte Regelungen für jeden einzelnen Staat am Ende besser sind als der nationale Egoismus. Wir brauchen mehr internationale Regulierung, weil wir in einer Weltgesellschaft leben – ob es uns gefällt oder nicht.