Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

Belegschafts-Kooperation

Konrad Frielinghaus hat im Jahr 1957 einen wesentlichen Beitrag (wenn nicht den ersten ausformulierten Ansatz) zu diesem Begriff vorgelegt. Die folgenden Zitate stammen aus diesem Werk.

Frielinghaus sah vor über 50 Jahren, dass die Technisierung der Produktion zu einem Ende der Möglichkeiten der totalen Kontrolle der Arbeitnehmer und zu einem Abbau von Hirarchie im Betrieb führen muss. Das Kapital ist auf den guten Willen der Beschäftigten angewiesen, die letztlich den Erfolg sichern. Die Eigeninitiative von Belegschaften ist zunehmend gefragt. Daran anknüpfend sind Machtverlagerungen zugunsten der abhängig Beschäftigen bis hin zu einer verstärkten Selbstorganisation der Produktion vorstellbar.

"Die industriellen Maschinerien und Apparaturen werden immer komplizierter und repräsentieren einen immer höheren Wert. Um die entstehenden komplizierten Produktionsprozesse meistern zu können, müssen die Arbeiter und Angestellten nicht nur Fähigkeiten entwickeln, engbegrenzte, hochspezialisierte Teilarbeiten zu verrichten, sie müssen auch noch mit der anderen Fähigkeit gepaart sein, diese Teilarbeiten in ständiger, wechselseitiger Kooperation mit ihren Kollegen zu leisten.

Das sind Produktionsbedingungen, unter denen es der Betriebshierarchie immer weniger möglich ist, die Arbeit des Einzelnen durch Befehle, Anweisungen, Vorschriften oder Normen zu bestimmen. Der Einzelne muß in immer stärkerem Maße selbständig handeln und persönliche Initiative bei seiner Arbeit entwickeln. Die Betriebshierarchie muß, will sie die Entwicklung der Produktivität nicht hemmen, diesem selbständigen Handeln und dieser persönlichen Initiative den nötigen Raum gewähren. In dem Maße aber, indem die Hierarchie die Kontrolle über die konkrete Tätigkeit der einzelnen Arbeiter und Angestellten verliert, verliert sie die Fähigkeit, ihre produktive Funktion auszuüben: Organisator der Kooperation zu sein. So zeigt sich die Tendenz, daß Leitung und Überwachung, ja sogar die Planung der Produktionsprozesse von der Hierarchie an die Produktionsarbeiter und an die Angestellten der technischen Büros und der Verwaltungen übergeht. Durch ihre Kooperation entwickeln die Arbeiter und Angestellten Einsichten in die Produktionsbedingungen, die der Hierarchie verschlossen sind und auf Grund deren sie alle erforderlichen Entscheidungen zur Förderung der Produktivität selbst zu treffen vermögen.
Auf diese Weise bildet sich in den modernsten, hochproduktiven Betrieben, insbesondere in der Investitionsgüterindustrie eine industrielle Kooperation neuer Art, eine Kooperation, die nicht mehr von der Hierarchie organisiert, also fremd-bestimmt ist, sondern die aus der schöpferischen Kollektivinitiative der Arbeiter und Angestellten  bei der Bewältigung der modernen Technik hervorgeht. Die modernsten Industriebetriebe beruhen also nicht nur auf der Produktivkraft, die in der neuartigen Maschinerie und den neuartigen Arbeitsfähigkeiten der einzelnen Arbeiter und Angestellten besteht, sondern gleichermaßen auf der Produktivkraft, die diese neuartige Kooperation darstellt." (S. 121-122).

Hier liegt die Ursache für die Human-Relations-Bewegung, die auf die Einbindung der Arbeitnehmer setzt: "Die Erfolge dieser Betriebspolitik haben als 'deutsches Wirtschaftswunder' sozusagen Weltberühmtheit erlangt." (S. 134).

Frielinghaus kritisierte, dass zwar die Vertreter des Kapitals, nicht aber die der Arbeitnehmer die Potentiale der "Produktivkraft Kooperation" erkannt haben. Er forderte aus Arbeitnehmer-Sicht die Nutzung der Chancen der (aus der Funktionslogik heraus erforderlichen) Belegschafts-Kooperation vor allem zum Abbau von Hirarchie und zur Verlagerung der innerbetrieblichen Macht auf die Seite der Produzenten.

"Eine Betriebspolitik gestützt auf Belegschaftskooperation würde folgendes im Auge haben:

  1. Beschleunigte Entwicklung der Belegschafts-Kooperation bei gleichzeitiger Einbeziehung von Mitgliedern der Betriebs-Hierarchie.
  2. Systematische Hinausdrängung des nicht einbeziehbaren Teils der Hierarchie aus dem Produktionsprozess, um sie als Machtinstrument des Kapitals über die Belegschaft möglichst unwirksam zu machen.
  3. Beteiligung möglichst großer Teile der Belegschaft an allen Aktionen. Das ist erforderlich, damit sich die Belegschaften ihrer selbst als Belegschaften und als Grundeinheit der Gesellschaft bewußt werden können.
  4. Ausnutzung des Widerspruchs, in den sich die Betriebspolitik der Kapitalseite unvermeidlich immer wieder verwickeln muß, weil sie nicht zulassen darf, daß die Disziplinar- und Direktionsgewalt der Betriebs-Hierarchie über die Belegschaft geschwächt wird, anderer­seits aber die Belegschafts-Kooperation als Produktivkraft freie Bahn haben muß." (S. 135).

Frielinghaus wollte diesen Machtzuwachs für die Arbeitnehmer, mehr Transparenz und den Zwang zum Aushandeln von Bedingungen; am Ende sollte eine grundlegende Verbesserung der Situation der abhängig Beschäftigen stehen. Es geht ihm um die "Verwirklichung eines konkreten Programms ökonomischer und sozialer Fortschritte":

"Erhöhung des Lebensstandards, gemessen am Prokopfverbrauch landwirtschaftlicher und industrieller Konsumgüter; Verlängerung der freien Zeit für Erholung, Bildung, wissenschaftliche, künstlerische und gesellschaftliche Tätigkeiten; Gewährleistung, daß jeder einen seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechenden Arbeitsplatz in der gesellschaftlichen Produktion erhält; maximale Bildungsmöglichkeit für jeden; beste, dem wissenschaftlichen Stand entsprechende Gesundheitseinrichtungen und Gesundheitsdienste; Verwaltung der Betriebe durch die Belegschaften selbst; fortschreitender Abbau der Staats- und Meinungsbildungsapparate und Übertragung ihrer gesellschaftlich notwendigen Aufgaben an Selbstverwaltungsorgane; Befreiung der Frauen aus der Haussklaverei durch Schaffung und Ausbau entsprechender gesellschaftlicher Einrichtungen; wachsende Anstrengungen zur Humanisierung des Lebens auf der ganzen Welt, insbesondere durch Hilfe­leistung bei der Industrialisierung anderer Länder." (S. 147).