Foto Edgar Einemann Prof. Dr. Edgar Einemann

1968-71: Gymnasium Huckelriede

Das Gymnasium Huckelriede hat 1968 mit dem Aufbau einer neuen gymnasialen Oberstufe begonnen, die etwas "Entschulung" bedeutete. Die Zahl der festgelegten Pflichtstunden wurde reduziert, die Zahl der Wahlfächer erweitert und um interessante Angebote ergänzt: Es gab z. B. benotete Arbeitsgruppen in Soziologie, Philosphie und Psychologie. Als Schüler in Huckelriede habe ich 1969 die Zeitung Schüler-Information produziert und über die Bremer Schülerbewegung berichtet.

Nach dem Sommer 1968 begann das neue Schuljahr. Die Oberstufe begann mit Klasse 11 in 2 Parallelklassen und bestand insgesamt aus ca. 65 Schülern. Der Ruf der "Reformschule" und ihre Offenheit für Schüler aus ganz Bremen hatten einen Sogeffekt für den Kern der Schülerbewegung: APO-Schüler kamen aus der ganzen Stadt (und z. T. auch aus dem Umland) nach Huckelriede, die Basisgruppe des Unabhängigen Schüler-Bundes (USB) traf sich wöchentlich und mit 20-30 Personen (das war fast die Mehrheit der Oberstufen-Schüler).

Wir waren in der Schule als organisierte Schüler ein Machtfaktor - und haben diese Macht und die neuen Freiheiten nicht nur sinnvoll genutzt. Auch aus heutiger Sicht war es sicher positiv, sich in die Angelegenheiten der Schule einzumischen und Mitbestimmung einzuklagen; die engagierten politischen Diskussionen untereinander und mit den Lehrern hatten erhebliche Lerneffekte; politsche Aktivitäten wie die Beendigung des Unterrichts an der ganzen Schule nach der großen Pause ab Klasse 9 und die Versammlung aller Schüler zu einer Diskussion über den Vietnam-Krieg oder die weitgehende inhaltliche Übernahme des Unterrichts zum Thema "Kubanische Revolution" durch die Schüler der Klasse 12 sind auch aus heutiger Sicht produktive (wenn auch nicht ganz regelkonforme) Leistungen.

Regelverletzungen (wie das Klauen von Klassenbüchern und das Bemalen der Schule) waren der Irrweg einzelner Schüler; der kollektive Irrweg war die strategische Fehlentscheidung, die Repressivität "des Systems" ausgerechnet an der Bremer Schule zu provozieren, die den kritischen Schülern den größten Freiraum bot. Ende 1969 hat es dann eine Korrektur der "Provokations-Linie" gegeben; von Huckelriede aus wurde in der Endphase der antiautoritären Schülerbewegung der Versuch einer Neugründung (ADS) gemacht, der das "Feindbild Lehrer" ablegte und längerfristige politisch-strategische Ziele hatte. Dieser Ansatz ging in der beginnenden politischen Fraktionierung unter: diskutiert wurde die Annäherung an "die Arbeiterklasse" - die Frage war nur, in welcher Form (die Mehrheit entschied sich nach langen Debatten für den Weg in die Richtung der stalinistischen Deutschen Kommunistische Partei, DKP). 

In Huckelriede gab es im Kern ein linkes und reformfreudiges Lehrer-Kollegium, das zu großen Teilen (überflüssigerweise) vergrault wurde und sich dann auch mit (in Noten ausgedrückten) unfreundlichen Schüler-Bewertungen gewehrt hat. Am Ende haben ca. 40% der ersten Oberstufen-Generation das Abitur bestanden.

In Huckelriede wurde viel gelernt - bei den kritischen Schülern allerdings mehr zu Politik und Gesellschaft als auf dem Feld der "Notenrelevanz". Ich habe heute noch Exerpte zu Büchern, die wir im Alter von 15-18 Jahren gelesen und diskutiert haben, wie z. B.: Wilhelm Reichs "Massenpsychologie des Faschismus" (August 1968), "Macht contra Vernunft" von Maurice Joly,  "Grundlagen des Marxismus-Leninismus" (Dezember 1969), Berthold Brechts "Arturo Ui" (November 1970), "Kritik an Marcuses Theorie" (Mai 1971) und "Was ist Soziologie" von Norbert Elias.