Edgar Einemann

Willkommen Mr. Chance. 1979. (H. Ashby) (PDF)

Analyse-Anmerkungen zu Willkommen Mr. Chance

Der Film aus dem Jahr 1979 hat eine Länge von 125 Minuten; die Hauptrollen spielen Peter Sellers (Mr. Chance), Shirley MacLaine (Eve Rand) und Melvyn Douglas (Mr. Rand). 
Gezeichnet wird das Bild deines Menschen, der dem realen Leben auf der Welt nie wirklich ausgesetzt war. Er hat ein Haus mit Garten sein Leben lang nie verlassen, es fehlt ihm an grundlegenden Kulturtechniken. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass er zwar als Gärtner fungiert, aber nicht lesen und nicht schreiben kann, keinen Ausweis und keinen Führerschein besitzt, (bis zu seinem Auszug aus dem Haus) noch nie in einem Automobil gesessen hat, kein Telefon bedienen kann, keine Zeitung liest, keine sexuellen Erfahrungen hat und z. B. nicht in der Lage ist, sich eine Zigarre anzuzünden.
Die einzige Quelle seiner Information, seine Sozialisationsinstanz, ist das Fernsehen. Das Fernsehen steht (neben der Gartenarbeit) im Zentrum seines Lebens, er bemüht sich in nahezu jeder Lebenslage um einen Blickkontakt zum Bildschirm und zeigt keine Gefühle – egal, ob er neben einer Leiche sitzt, ihm eine Frau sexuell näher kommt, er im Auto fährt, mit Menschen redet oder was auch immer geschieht. Er imitiert die Körpersprache der Personen im Fernsehen vom Händeschütteln bis zu Yoga-Übungen. Gezeigt wird ein in einer Scheinwelt lebender Mensch mit exzessivem Fernsehkonsum, der sich wohl in einer gewissen Abhängigkeit von diesem Medium befindet.
Der Film beschreibt sehr eindrucksvoll das für die Entwicklung eines Menschen desaströse Resultat einer Situation, in der das Fernsehen die einzige Quelle von Sozialisation und Bildung ist – der sich so entwickelnde Mensch ist geistig und emotional verarmt, einfältig und in der Realität dieser Welt weitgehend lebensunfähig.  Die (dunkelhäutige) Frau, die ihn groß gezogen hat, bezeichnet ihn schlicht als Vollidioten. Im Kontrast dazu kommt der amtierende (weiße) US-Präsident nach einem kurzen Gespräch zu dem gegenteiligen Eindruck  - er bewundert den Scharfsinn des Mannes. Für diese Sicht entscheiden sich dann auch die Medien, die alles Unvermögen verklären oder gar zu einer Tugend hochstilisieren und ihn selbst zu einem Meinungsführer machen – auch wenn seine Botschaften noch so schlicht sind. Die politischen Kommunikationsstrukturen und die Rolle der Medien ermöglichen sogar eine Situation, in der ein Mensch mit solchen Voraussetzungen für fähig gehalten wird, höchste Ämter wie das des US- Präsidenten zu bekleiden. Das Fernsehen leistet einen Beitrag zur Förderung von Oberflächlichkeit und Entpolitisierung.

Filmbeschreibung
Der Film zeigt Mr. Chance bei der Gartenarbeit, bei der Pflege der Wohnung und beim Fernsehen. Er zappt durch die Programme, als ihm die Nachricht vom Tod des alten Mannes (dem wohl das Haus gehört) überbracht wird. Er wirkt unbeteiligt: er sieht weiter Fernsehen, redet über das Wetter und den Garten, meldet Hunger. Dann ist er doch bei dem toten Mann, wendet sich aber in Anwesenheit der Leiche wieder dem Fernsehen zu und äfft mit Gesten die Fernsehen-Bilder nach (zieht symbolisch den Hut).
Während er wieder im Garten arbeitet, verlässt eine dunkelhäutige Frau (wohl die Haushälterin) das Haus und verabschiedet sich von ihm; Mr. Chance erweckt den Eindruck, dass er die reale Realität nicht wirklich realisiert. Es erscheinen zwei Nachlassverwalter – Mr. Chance zappt unbeeindruckt weiter durch die Fernsehprogramme und erklärt, er würde keinerlei Ansprüche erheben. Er behauptet, schon als Kind in dem Garten gearbeitet zu haben – er hat das Haus wohl nie verlassen. Er wird aufgefordert, das Haus zu räumen. Er berichtet, dass er weder einen Anwalt noch einen Arzt oder Zahnarzt habe und auch noch nie in einem Automobil gesessen habe: „Ich durfte das Grundstück nie verlassen. Ich war nie außerhalb des Gartens.“. Er verlässt das Haus mit einem Koffer und der Fernbedienung; es wird deutlich, dass er in einer Gegend mit verfallenden Häusern gelebt hat, in der das Straßenbild auch von Obdachlosen geprägt ist. Als er von einer Gruppe von Jugendlichen mit einem Messer bedroht wird, holt er seine Fernbedienung heraus – aber es passiert nichts. Sie lassen ihn laufen, er promeniert durch Washington. Als er sich selbst in einem Schaufenster auf einem dort postierten großen Bildschirm sieht, versucht er wieder erfolglos, die Fernbedienung einzusetzen. 
Vor dem Geschäft wird Mr. Chance zwischen zwei Autos eingequetscht, weil ihn ein Chauffeur nicht gesehen hat. Die von dem Auto transportierte Frau (Eve Rand) besteht zunächst darauf, dass Chance in einem Krankenhaus untersucht wird; dann entscheidet sie sich aber doch dazu, ihn zur Vermeidung von Problemen mit in ihr eigenes Haus zu nehmen und ihn dem dort anwesenden Hausarzt vorzuführen. Während der Autofahrt bekommt Mr. Chance einen Drink und darf das Fernsehen nutzen. Bei der Antwort auf die Frage nach seinem Namen kommt er ins Husten und die Frau versteht „Chancy Gärtner“. Sie fahren auf ein Anwesen, wo bei ihrer Ankunft schon ein Rollstuhl und viel Personal bereitstehen. Mr. Chance bekommt ein Zimmer im dritten Stock des Gebäudes, wird vom Arzt untersucht und bekommt eine Spritze. Danach vergisst er zunächst einmal, sich die Hose hochzuziehen, weil er den Blick auf das Fernsehen richtet. Er erklärt, dass er keine Ansprüche erheben würde und ist bereit, zunächst zu bleiben. Von Interesse für ihn sind das funktionierende Fernsehen und der Garten.
Der Hausherr des Anwesens ist ein kranker Mann (Mr. Rand), der mit Mr. Chance zu Abend essen möchte. Das Dinner findet an einem Riesentisch statt. Das von Mr. Chance wahrheitsgemäß berichtete Verlassen seines Hauses („Mein Haus wurde geschlossen“) und die Aufgabe seines Gartens wird von seinem Gastgeber als Aufgabe seines Geschäftes interpretiert. Auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen antwortet Mr. Chance dem Hausbesitzer: „Ich würde gerne in Ihrem Garten arbeiten“. Mr. Rand hält Mr. Chance allerdings hartnäckig für einen Geschäftsmann und antwortet: „Was schließlich ist der Geschäftsmann anderes als ein Gärtner“. Politische Statements von Mr. Rand z. B. zu Gunsten des Mittelstandes werden von Mr. Chance scheinbar verstanden. Allerdings ist er nicht in der Lage, sich eine Zigarre anzuzünden.
Im Haus von Mr. Rand wird der Besuch des US-Präsidenten angekündigt, den Mr. Chance aus dem Fernsehen kennt. Er wird dem Präsidenten vorgestellt, ist bei der Diskussion zwischen diesem und Mr. Rand anwesend und wird nach seiner Meinung gefragt. Mr. Chance redet über den Garten und die Abhängigkeit des Wachstums von den Jahreszeiten nach dem Motto: im Frühjahr wird gesät und im Herbst wird geerntet. Der Präsident und der ihn beratende Mr. Rand finden das genial und verstehen eine wirtschaftspolitische Botschaft in Bezug auf das Auf und Ab der Wirtschaft. Der Präsident lobt Mr. Chance: „Ich bewundere ihre klare solide Sicht der Dinge“. Der Präsident ordnet bei seinen Sicherheitsleuten eine Recherche über Mr. Chance an. Mr. Rand möchte, dass Mr. Chance seine Initiative zur finanziellen Unterstützung von Geschäftsleuten managen soll.
Der Präsident hält eine Rede, zitiert Mr. Chance unter Nennung seines Namens (Mr. Gärtner) in der von ihm verstandenen und interpretierten Version zustimmend und erhält viel Applaus. Daraufhin interessieren sich wichtige Medienvertreter für Mr. Chance. Er gibt der Washington Post ein Telefon-Interview, kann aber mit dem Telefon nicht richtig umgehen und konzentriert sich auf das laufende Fernsehprogramm, wobei er (während des Interviews) die im Fernsehen vorgeführten Yoga-Übungen nachmacht. Gezeigt wird, dass weder die Washington Post noch die Sicherheitsberater des Präsidenten irgendwelche Informationen über Mr. Chance auftreiben können. Dennoch bestellt ihn ein Fernseh-Sender anstelle des verhinderten Vize-Präsidenten der USA in eine Sendung und stellt ihn als Präsidentenberater vor. Seine Statements beziehen sich wieder auf die Wachstumsprozesse im Garten. Er wird im Fernsehen von den Nachlassverwaltern wahrgenommen, die seine „Prominenz“ unterschätzt haben. Die dunkelhäutige Frau (Louise, wohl Haushälterin), die kurz vor ihm das Haus des verstorbenen Mannes verlassen hatte, sieht ihn ebenfalls im Fernsehen und kommentiert: „Eins steht fest: Amerika ist nur für den weißen Mann da. Ich hab den Jungen großgezogen… Er hat weder lesen noch schreiben gelernt… Der hat doch überhaupt keinen Grips. Der hat Grütze im Kopf bis an die Ohren. Der ist dumm wie ein toter Esel, wie Bohnenstroh… In Amerika brauchst du nur Weißer zu sein, und schon kriegst Du, was immer Du willst… So was von einem Vollidiot…“.
Nach seinem Auftritt im Fernsehen-Studio kehrt Mr. Chance unter dem Applaus des Personals in das Anwesen von Mr. Rand zurück. Der todkranke Hausherr bittet ihn, seine Frau in seiner Vertretung zu einem Empfang des russischen Botschafters zu begleiten. Unterdessen glauben die Nachlassverwalter, dass sie sich in Mr. Chance schwer getäuscht haben und fürchten um das Ende ihrer politischen Karriere. Die Sicherheitsleute des Präsidenten und die Washington Post habe noch immer keine Informationen über die Vergangenheit von Mr. Chance; sie konnten lediglich feststellen, dass er einen alten Anzug und alte Unterwäsche in bester Qualität trägt (z. T. aus dem Jahr 1928) und über keine Ausweise und keinen Führerschein verfügt. Eve Rand kommt in sein Zimmer, küsst ihn und versucht, sich ihm sexuell zu nähern. Das ignoriert er aber auf seinem Bett sitzend weitgehend und konzentriert sich auf das laufende Fernsehprogramm. Vorher hat er bekannt: „Ich lese keine Zeitungen“.
Unterdessen hat der behandelnde Arzt aus dem Hause Rand Kontakt mit den Nachlassverwaltern aufgenommen und sich wohl ein klares Bild von Mr. Chance gemacht. Später kommt es auch zu einem persönlichen Kontakt, wobei der Arzt die Nachlassverwalter um Stillschweigen bittet. Redakteure fragen sich, ob es möglicherweise im Zusammenhang mit der Biografie von Mr. Chance zu einer Aktenvernichtung gekommen sei.
Mr. Chance wird in einem Interview nach seiner bevorzugten Zeitungslektüre gefragt und antwortet wahrheitsgemäß: „Ich lese niemals Zeitungen Ich sehe nur gern Fernsehen“. Das wird in den Medien nicht als Defizit, sondern als mutiges Statement interpretiert.
Beim Empfang des russischen Botschafters plauderte dieser ausführlich mit Mr. Chance, der dem Botschafter sogar das Gefühl vermitteln kann, er würde Russisch verstehen. Als Mr. Chance mit dem Ansinnen konfrontiert wird, ein Buch zu schreiben, verweist dieser wahrheitsgemäß darauf, gar nicht lesen und schreiben zu können. Bei der Rückfahrt von Eve Rand und Mr. Chance läuft das Fernsehgerät.
Aus dem Sicherheitsteam des Präsidenten wird gemeldet, dass es bereits in 16 Ländern Nachforschungen zu Mr. Chance gibt; auch die CIA weiß angeblich von nichts und eine Vermutung ist, dass ein Ex-FBI-Mann aktiv war.
Mr. Rand liegt im Sterben und regelt seinen Nachlass; eine Maschine schreibt seine Worte mit und er trifft auch Regelungen in Bezug auf Mr. Chance.
Mr. Chance sieht im Fernsehen ein sich küssendes Paar und nutzt das Erscheinen von Eve Rand zur Imitation der Aktion – nach dem Ende des Fernsehfilms wechselt er zu einem anderen Programm und kümmert sich nicht weiter um Eve. Er erklärt: „Ich gucke am liebsten“. Sie glaubt, dieses Bedürfnis mit einem Strip und eigenen sexuellen Aktivitäten bedienen zu können – aber er beschränkt sich auf das Gucken von Fernsehen, spielt mit der Fernbedienung und imitiert auf dem Bildschirm erscheinende Yoga-Übungen.
Mr. Rand schafft es noch, kurz vor seinem Tod Mr. Chance zu sich zu bestellen und ihn zu bitten, sich nach seinem Ableben um seine Frau Eve Rand zu kümmern.
Am Grab von Mr. Rand hält der US-Präsident eine Rede und verweist u. a. auf die Ablehnung des Wohlfahrtsstaates durch den Verstorbenen. Mr. Chance entfernt sich von der Trauergemeinde, während die (sicher besonders prominenten und einflussreichen) Sargträger darüber diskutieren, dass „Chancy Gärtner“ ein ernsthafter Kandidat für zukünftig freiwerdende Spitzenpositionen einschließlich des US-Präsidenten sei. Mr. Chance geht zu einem kleinen See, dokumentiert die Wassertiefe durch das Eintauchen seine Regenschirmes und ist in der Schlussszene des Films in der Lage, über das Wasser dieses Sees zu gehen.