Edgar Einemann

Herrmann, U. (2022). Das Ende des Kapitalismus.
Köln: Kiepenheuer & Witsch.

„Grünes Wachstum“ scheint sich in der letzten Zeit als möglicher Konsens zwischen Umwelt-Initiativen, Unternehmern, Gewerkschaften, Politikern und Wissenschaftlern als Antwort auf die Krise des Weltklimas durchzusetzen. Ulrike Herrmann (2022) hält diese Idee für völlig unzureichend. Für sie ist das auf Wachstum angewiesene kapitalistische System verantwortlich für die Zerstörung der Welt, weil „… es doch der Kapitalismus ist, der die gigantischen Umweltprobleme erst geschaffen hat“ (S. 208). „Der Kapitalismus ist ein dynamisches System. Er muss wachsen, um einen Absturz zu vermeiden… Bleibt das Wachstum dauerhaft aus, bricht das System zusammen.“ (S. 92). „Es ist ein Dilemma: Das permanente Wachstum zerstört Natur und Umwelt, aber genau dieses Wachstum ist zwingend, damit der Kapitalismus stabil bleibt.“ (S. 110). Auch grünes Wachstum ist kein funktionierender Ausweg. Das Ergebnis eines Hauptkapitels des Buches (S. 115-199) lautet: „‘Grünes Wachstum‘ gibt es nicht. Es ist eine Illusion“ (S. 111). Ulrike Herrmann setzt sich sehr differenziert und faktenreich mit den bisherigen Vorschlägen dazu auseinander und behauptet, dass ein grünes „Weiter so“ keinen Erfolg haben kann. Treibhausgase können nicht verschwinden, die Atomenergie bietet keine Lösung, Sonne und Wind sind als Energiequellen nicht dauerhaft zuverlässig, die Speichermöglichkeiten sind limitiert, grüner Wasserstoff wird sehr teuer werden und das Batterieauto hat keine Zukunft. An vielen Beispielen erläutert Ulrike Herrmann, wie positive Effekte dank besserer technischer Effizienz durch „Rebound-Effekte“ konterkariert werden, „weil die eingesparten Rohstoffe prompt genutzt werden, um noch mehr Güter herzustellen und Wachstum zu erzeugen… Die Rebound-Effekte zerschlagen jede Hoffnung, dass es ‚grünes Wachstum‘ geben könnte.“ (S. 196/97). Es „bleibt das Problem, dass die Ökoenergie nicht reichen wird, um die ganze Wirtschaft zu befeuern. Es wird Zeit, über ‚grünes Schrumpfen‘ nachzudenken… Der Kapitalismus bricht zusammen, sobald das Wachstum ausbleibt.“ (S. 199).
Einen kleinen Eindruck von möglichen Konsequenzen eines Erfolges der ‚Degrowth-Bewegung‘, die eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft anstrebt, in der nur so viel verbraucht wird, wie recycelt werden kann, beschreibt Ulrike Herrmann für Deutschland. Wenn niemand mehr neue Autos kaufen würde, hätte das 1,75 Millionen Arbeitslose zur Folge, weitere Multiplikatoreffekte kämen hinzu (S. 207). Die Schließung aller Flughäfen würde 850.000 Jobs kosten (S. 210). Lebensversicherungen würden keine Gewinne mehr erwirtschaften, Banken würden aufgrund von Kreditausfällen zusammenbrechen, und auch das Investmentbanking würde enden (S. 209). „Vom Börsenindex DAX bliebe wenig übrig: Die Papiere der Flugzeugbauer Airbus und MTU wären gänzlich wertlos, wenn es keine Flüge mehr gäbe. Die Aktien der Finanzkonzerne Deutsche Börse, Deutsche Bank, Allianz, Hannover Rück und Münchner Rück würden ebenfalls ins Nichts abstürzen, wenn sie ihre wichtigsten Geschäftsfelder verlören. Auch die Autobauer BMW, Porsche, Mercedes-Benz, VW und Continental wären nur noch Schatten ihrer selbst, wenn Menschen und Güter vor allem mit der Bahn transportiert würden… Etwa die Hälfte der DAX-Konzerne würde also eine Öko-Wende gar nicht oder nur stark geschrumpft überstehen.“ (S. 211/12). Treffen würde das nicht nur Aktienbesitzer, sondern alle Geldvermögen, weil es dafür „keinen ausreichenden Gegenwert mehr gäbe, wenn weit weniger Güter hergestellt werden würden.“ (S. 213).
Ulrike Herrmann hält diese mit dem „grünen Schrumpfen“ verbundenen Aussichten so auch nicht für wünschenswert. „Das ungelöste Problem ist allein, wie sich diese ökologische Kreislaufwirtschaft erreichen lässt, ohne unterwegs eine schwere Wirtschaftskrise zu provozieren, die die Bevölkerung in Panik versetzt und einen Diktator an die Macht bringt… Klimaschutz hat daher nur eine Chance, wenn allen Bürgern in jeder Sekunde deutlich ist, wovon sie leben sollen und wie es für sie weitergeht.“ (S. 214). Die unerfreuliche Diagnose: „Die Debatte hat sich inzwischen festgefahren, und zwei Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Die meisten Politiker, Klimaforscher und Ökonomen hoffen auf ‚grünes Wachstum‘, obwohl die Ökoenergie nicht reichen dürfte. Umgekehrt fordern daher die Wachstumskritiker, dass Einkommen und Verbrauch sinken müssen. Ihnen fehlt jedoch ein Plan, wie sie dabei eine schwere Wirtschaftskrise vermeiden können, die Millionen Menschen in Armut und Verzweiflung stürzt.“ (S. 226).
Als Ausweg schlägt Ulrike Herrmann eine Strategie vor, die sich an die Erfahrungen der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 anlehnt. „Gesucht wird also eine Idee, wie sich die Wirtschaft schrumpfen lässt, ohne dass Chaos ausbricht. Zum Glück bietet die Geschichte ein Vorbild. Ausgerechnet die britische Kriegswirtschaft ab 1939 taugt als Anregung, wie sich eine klimaneutrale Welt geordnet anstreben ließe.“ (S. 226). Die Briten „organisierten eine Art ‚privater Planwirtschaft‘. Der Staat gab vor, was produziert wurde – aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. (S. 237). „Die britische Regierung hingegen lenkte die Betriebe indirekt – indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zuteilte.“ (S. 238). Lebensmittel, Kleidung und Möbel wurden zugeteilt, „die Mengen- und Preiskontrollen waren in Großbritannien ungemein populär… Die Rationierungsprogramme waren so beliebt, weil jeder Brite genau das Gleiche bekam.“ (S. 240). „Die britische Kriegswirtschaft … zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordnet schrumpfen kann – und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt.“ (S. 242). „Der Staat kann handeln, wenn er will.“ (S. 230) „Weswegen es jederzeit möglich wäre, wieder in eine Art Kriegswirtschaft zu wechseln, um das Klima zu retten.“ (S. 242).
Für Deutschland verschärft sich das Problem bei einer Betrachtung der globalen Situation. Ein Beispiel: „Die Reichen produzieren also 20-mal so viel CO2 wie die Armen“. (S. 248). Die Konsequenz: „Verzichten müsste der globale Norden – und dort vor allem die Wohlhabenden… Für die Reichen Deutschlands wäre es natürlich sehr schmerzhaft, wenn sie nicht mehr jährlich 117,8 Tonnen CO2 emittieren dürften. Ihr flotter Lebensstil wäre dahin.“ (S. 249). „Leider wird es ohne Verbote nicht gehen. Unsere Lebensweise kann nur dann ökologisch sein, wenn nicht jede jederzeit unbegrenzt konsumiert… Nur Verzicht sichert das Überleben – wie im Krieg.“ (S. 228). Und: „Klimaschutz hat nur eine Chance, wenn alle gleich belastet werden.“ (S. 249). Einige Konkretisierungen ihrer Vorstellungen liefert Ulrike Herrmann auch: „Flüge allerdings würde es nicht mehr geben, Autos wären kaum noch unterwegs, und Immobilien müssten rationiert werden… Die Bauten, die jetzt in Deutschland existieren, müssten für alle reichen. Auch Fleisch muss limitiert werden, denn das Vieh ist ein Klimakiller.“ (S. 250). Aber immerhin: „Rationieren – nicht abschaffen. Niemand müsste zum reinen Vegetarier werden.“ (S. 253). „Vor allem Luftfahrt, Banken, Versicherungen, Autofirmen und Teile der Chemieindustrie hätten keine große Zukunft.“ (S. 254).
Für die Bürger wäre dieses Szenario mit erheblichen Einbußen verbunden. In der Zeit der britischen Kriegswirtschaft fiel der Konsum innerhalb kürzester Zeit um ein Drittel, das macht sie für Ulrike Herrmann „zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll… In den vergangenen 80 Jahren ist die deutsche Wirtschaft real um das zehnfache gewachsen. Selbst wenn von diesem gewaltigen Wohlstand nur die Hälfte übrig bliebe, wären wir immer noch so reich wie im Jahr 1978.“ (S. 241). Die beruhigende Botschaft: „Niemand würde hungern, und das Leben wäre weiter schön“ (S. 181).
Das Endergebnis: „In jedem Fall wird der Kapitalismus untergehen und eine neue Wirtschaftsordnung entstehen. Sie ließe sich wohl am besten als ‚Überlebenswirtschaft‘ bezeichnen, denn es geht um die Rettung der Menschheit.“ (S. 257). „Die Regierung lenkt, aber die Betriebe bleiben privat. Ein Ökosozialismus ist also nicht gemeint." (S. 255). „…Der Staat legt fest, was noch hergestellt wird, und verteilt die knappen Güter. Dieses Konzept orientiert sich an der britischen Kriegswirtschaft ab 1939, ist aber nicht das gleiche. Jetzt geht es um das Ende des Kapitalismus.“ (S. 262).
Die Ideen von Ulrike Herrmann bringen ein überraschendes Element in die Debatte. Sie will das private Eigentum nicht abschaffen, aber die Marktwirtschaft mehr oder weniger vollständig durch eine staatliche Planwirtschaft ersetzen. In der Geschichte sind solche Systeme bisher (vielleicht bis auf eine ja auch nicht ewig anhaltende Phase in Großbritannien) an der praktischen Umsetzung gescheitert, sie haben schlicht aus einer Vielzahl von Gründen nicht funktioniert. Auf Basis ihrer praktischen Erfahrungen sehr gut erklären konnten das in der Endphase der Planwirtschaften in Osteuropa z. B. viele Ungarn, die schon vor anderen Staaten des Ostblocks von der staatlichen Zentralplanung abgewichen sind (Brandt u.a. 1982). Im Übrigen ist der Buchtitel irreführend: wenn sich alle Unternehmen in privater Hand befinden, kann von einem „Ende des Kapitalismus“ keine Rede sein – eine korrekte Bezeichnung für die Vision von Ulrike Herrmann wäre eher „autoritärer staatlich durchgeplanter Kapitalismus“.
Eine Frage ist, ob die zentrale These von der Unmöglichkeit eines grünen Wachstums stimmt. Denkbar ist z. B., dass die Umwandlung von Sonnenenergie in Gas (Wasserstoff) in neue Dimensionen vorstößt. Wenn alle Besitzer von Eigenheimen ihre Häuser mit Solardächern ausstatten und so auch ihre E-Autos betanken würden, wäre auch schon viel gewonnen. Denkbar ist auch, dass die Probleme bei der Energiespeicherung innovativ gelöst werden. Die Möglichkeiten der Energieeinsparung sind noch lange nicht ausgeschöpft. Inzwischen scheint nicht mehr ausgeschlossen, dass vertretbare Methoden zur Gasgewinnung durch Fracking zum Einsatz kommen können. Nicht völlig unvorstellbar ist, dass der Ende 2022 gemeldete Durchbruch bei der Kernfusion ökologisch unbedenklich und ökonomisch irgendwann erfolgreich funktioniert. Denkbar ist auch, dass die Möglichkeiten des Recyclings massiv wachsen oder es der Planet verkraftet, wenn etwas mehr produziert wird, als recyclebar ist. Der Kapitalismus würde zumindest nicht mehr oder weniger automatisch zusammenbrechen, es wäre kein großes Schrumpfen mehr nötig, und das Ersetzen der Marktwirtschaft durch eine staatlich durchgeplante Kriegswirtschaft mit den skizzierten Folgen könnte entfallen.
Völlig unklar ist auch, woher denn der Staat die Legitimation bekommen sollte für eine Politik, die die Produktion und ihre Verteilung bis ins Detail regelt, den Wohlstand mindestens halbiert, Millionen von Arbeitslosen produziert, die (egalitäre) Rationierung organisiert und die Menschen auch durch Verbote zum Verzicht zwingt. Am Ende läuft es wahrscheinlich auf eine (im Interesse des Überlebens des Planeten für unvermeidlich gehaltene) ‚Öko-Diktatur‘ hinaus. Für einen „Verzicht … wie im Krieg“ (S. 228) sind demokratische Mehrheiten nicht vorstellbar. Eine Chance hat ein solches Szenario nur unter Rahmenbedingungen, die niemand wünschen kann: ein großer realer militärischer Krieg, eine große Katastrophe oder eine große ökonomische Krise.
Ein entscheidender Aspekt ist die Erkenntnis, dass eine Öko-Insel Deutschland die Probleme des Weltklimas nicht lösen können wird. Erforderlich sind Regelungen in einem möglichst weitgehenden weltweiten Gleichklang. Die Wahrscheinlichkeit, dass auf absehbare Zeit auch global (das meint: auf Welt-Ebene abgestimmt und in den einzelnen Staaten umgesetzt) eine staatliche Planwirtschaft mit Detailvorgaben für Unternehmen und Rationierungsmaßnahmen für die Bürger durchsetzbar wäre, ist eher gering.
Wer nicht auf den „großen Knall“ warten will und in Revolutionsversuchen keine Chance sieht, der wird sich als nächsten Schritt auf die Gestaltung von Technik und Umwelt konzentrieren müssen. Das ist in jedem Fall unabhängig davon erforderlich, ob die Wirtschaft wächst, stagniert oder schrumpft. In jedem Fall sind Maßnahmen zur Technikgestaltung im Sinne einer qualitativen Festlegung von Wünschenswertem nötig, die die Gesellschaft und die Weltwirtschaft verändern werden. Vorstellbar ist doch, sich das menschliche Leben der immer noch fiktiven Zukunft annähert, die Ernest Callenbach in seinem Buch „Ökotopia“ (1980) schon vor über 40 Jahren beschrieben hat – da meldet er, dass „die Ökotopianer sich vorrangig mit Überkapazitäten und nicht mit Problemen des Mangels auseinanderzusetzen hatten“. (S. 87). Diese Vision klingt erst einmal sympathischer als ein kompletter Systemwechsel zu einem grünen Schrumpfen mit einer staatlichen Kriegswirtschaft.

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